Klimagärtnern an der freien Mittelschule Wernstein
Alle Welt spricht vom Klimawandel. Im Oktober 2017 fand an der Uni Bayreuth ein Klimaschutzsymposium statt, an dem auch zwei Mitglieder unserer Schulgemeinschaft teilnahmen. Wissenschaftler verschiedenen Fachrichtungen wiesen dabei auf die Dringlichkeit einer radikalen Änderung unseres Lebensstiles hin. Am Nachmittag gab es dann verschiedene Workshops – davon auch einen zum Klimagärtnern. Und da bei „Waldorfs“ die Ganzheitlichkeit zum Prinzip gehört, ist es nicht nur beim Zuhören geblieben.
Mit modernen Schlagworten wie dem der „Klimawandel“ geht man in der Waldorfpädagogik allerdings eher sparsam um. Im Gegensatz zu anderen schulischen Einrichtungen, in denen nach dem Motto „je früher und je öfter, desto besser!“ verfahren wird, orientiert man sich an den Entwicklungsstufen des Kindes. So gibt es an der freien Mittelschule Wernstein zum Beispiel ab der ersten Klasse die sogenannte „Naturstunde“ – auf ausgedehnten Spaziergängen wird das natürliche Umfeld bei Sonnenschein, Wind und Wetter erlebt und der Wechsel der Jahreszeiten intensiv beobachtet. In diesem Alter geht es weniger um Erklären und Verstehen als um Fühlen und mit allen Sinnen aufmerksam wahrnehmen. Dr. Michael Kopatz – Wissenschaftlicher Projektleiter am Wuppertal Institut postulierte es so „die Physis prägt die Psyche“. Und dafür braucht es halt mehr, als während eines Schulausflugs einmal pro Jahr eine halbe Stunde auf einem eigens konstruierten Barfußpfad zu laufen. Wollen hat seinen Ursprung im Fühlen – nicht im kognitiven Bereich. Die Menschenkunde Rudolf Steiners weist darauf hin, dass es für jedes Lernen des Kindes bestimmte Zeitfenster gibt, also ein optimales Alter, in dem diese Fähigkeiten am besten gelernt werden können. Daran orientiert sich der Waldorflehrplan. Deshalb hält man Begriffe wie „Klimakatastrophe“ nach Möglichkeit auch von Kindergarten- und Grundschulkindern fern, da sie in diesem Alter besonders sensibel für alles Gefühlsmäßige sind. Und eben auch für die Sorgen ihrer Eltern um den Fortbestand unserer natürlichen Lebensgrundlagen.
Später haben die Kinder dann schon „richtigen“ Gartenbauunterricht und lernen dabei, wie die verschiedenen Gemüsepflanzen wachsen. Und was es sonst noch braucht, damit das Gesäte und Gepflanzte dann auch wachsen kann – ohne von anderen Pflanzen überwuchert zu werden oder bei Trockenheit zu verwelken. Auch dann, wenn man vielleicht gerade mal „keinen Bock“ hat. Im Mittelstufenalter wird das „Tun“ angelegt – einschließlich Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz. Oft keine leichte Aufgabe für die jeweiligen Fachlehrer, da dies in den Elternhäusern zunehmend weniger trainiert wird. Der moderne Berufsalltag ist stressig genug – wer braucht da noch maulende Kinder am Feierabend oder Wochenende?
Auf die Mittelstufe folgt die Oberstufe, in der zunehmend die Denkfähigkeit angesprochen wird. Und erst in diesem Alter tauchen dann Wörter wie „Klimawandel“, „CO2-Reduktion“ oder auch Thesen wie diese „Die große Transformation beschreibt die Notwendigkeit der Gestaltung eines tiefgreifenden weltgesellschaftlichen Veränderungsprozesses hin zu einer klimaschonenden und nachhaltigen Entwicklung“ im Unterrichtsalltag auf. Weil erst dann das Erkannte auch umgesetzt werden kann und den Jugendlichen in diesem Alter Handlungsoptionen an die Hand gegeben werden können.
Zum Beispiel das Konzept des „Klimagärtnerns“. In einem speziellen Pyrolyseofen werden dabei Pflanzenabfälle aller Art – Holzabfälle, Baumschnitt, Wurzelstrünke etc. verkohlt und zum Schluss durch Wasserflutung von unten abgelöscht. Durch den entstehenden Wasserdampf wird das Porenvolumen der Kohle vergrößert – es entsteht sozusagen eine Art Aktivkohle – und unerwünschte Stoffe ausgewaschen. Anschließend muss die so hergestellte Kohle noch mit Nährstoffen aufgeladen werden, bevor sie im Gartenbau verwendet werden kann. Dafür gibt es verschiedene Verfahren, je nach Gegebenheiten vor Ort: Küchenabfälle, Kompost, Dung oder Urin aus der Trenntoilette. Nach einem Fermentierungsprozess entsteht sogenannte „Schwarzerde“ – von den Indios auch „Terra Preta“ genannt – die genauso wie Humus verwendet werden kann, aber wesentlich höhere Kohlenstoffgehalte aufweist. Neben der stark bodenverbessernden Wirkung hat die Schwarzerde auch das Potential, aktiv zum Klimaschutz beizutragen. Ein Garten mit einer Fläche von 100 Quadratmetern und einem Humusgehalt von 1 % speichert rund 0,3 Tonnen Kohlenstoff, was in etwa 1 Tonne CO2 entspricht. Jedes weitere Prozent Humus kann eine weitere Tonne CO2 speichern – dabei sind mit dieser Methode Humusgehalte von 10 % und mehr möglich.
Der erste Wernsteiner Versuch mit dem ausgeliehenen Pyrolyseofen im November 2017 verlief überraschend erfolgreich. Für die beteiligten Fünftklässler war ihrem Alter entsprechend vor allen Dingen der Umgang mit dem Feuer und das Ausprobieren der eigenen Kräfte bei der Zerkleinerung des Schnittgutes interessant. Das kunstgerechte Aufschichten und die sachgerechte Beobachtung des Verbrennungsprozess erfordert einiges an Aufmerksamkeit und will geübt sein. Leider haben Kinder und Jugendliche in unserer technisierten Zeit immer seltener die Möglichkeit den Umgang mit den vier Grundelementen Feuer, Wasser, Luft und Erde zu üben. Sollten die Aussagen der Klimaforscher allerdings eintreffen, werden unsere Kinder in Zukunft sehr viel stärker mit den Naturgewalten konfrontiert werden, als wir uns dies bisher vorstellen können.
Im nächsten Schritt wird die erzeugte Pflanzenkohle mit Gartenabfällen vermischt und in den lehmigen Wernsteiner Gartenboden eingebracht. Die Bauern nennen diese Art von Erde „Minutenboden“, da er nur bei einer ganz gewissen Bodenfeuchtigkeit gut zu bearbeiten ist – in der täglichen Unterrichtspraxis ein großes Manko. Wir hoffen, dass die Pflanzenkohle hier eine Verbesserung bringt. Als nächster Schritt ist die Anschaffung eines eigenen Ofens geplant – Gehölzschnitt gibt es auf dem großen Schulgelände mehr als genug.
Wünschenswert wäre es natürlich auch, wenn sich auf diese Weise mehr und mehr Interessenten für das „Klimagärtnern“ begeistern würden – jeder Quadratmeter zählt!
In einer globalisierten Welt sind die eigenen Handlungsmöglichkeiten beschränkt. Aber wir haben es in der Hand, unseren Kindern die Liebe zur Natur zu lehren, wenn sie klein sind, die Liebe zum Handeln während des Heranwachsens und später den Mut, für die eigenen Überzeugungen einzustehen. Und irgendwann werden sie vielleicht auch den Sinn im Tun ihrer Eltern und Lehrer erkennen, sich an die gemeinsamen Nachmittage im Garten erinnern, an den Geruch von Feuerholz und die hereinbrechende Dunkelheit und an die Freiheit, die im Handeln liegt.